Kurze persönliche Reflexion über die Hamburger Gespräche 2015
Siehe Website der Michael Otto Stiftung
Dass es der Natur in Deutschland – und nicht nur in Deutschland, auch in vergleichbaren dichtbesiedelten und industrialisierten Ländern mit intensiver Landwirtschaft wie den Niederlanden – schlecht geht, wissen wir schon länger. Dass von der intensiven Landwirtschaft in diesen Ländern das größte Bedrohungspotential ausgeht, ist auch nicht neu. Es ist kaum eine Überraschung. Natur im eigentlichen Sinne, Natur als ungestörte Wildnis, gibt es dort kaum. Viele Tiere, Pflanzen und andere Organismen haben ihre Nischen in der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft gefunden. Die ursprüngliche Natur ist längst verschwunden. Dass Christoph Leuschner die deprimierenden Zahlen, die den Rückgang vieler Arten belegen, noch einmal zusammenfasst und dass er zeigt, dass die Zahlen keine Zweifel über die zentrale Rolle der intensiven Landwirtschaft zulassen, ist gut. Auch ist es gut zu wissen, dass es immer bessere Zahlen gibt. In den kommenden Jahren werden wir sicherlich noch bessere Zahlen haben, mit denen wir die Schlussfolgerung noch besser belegen können: die Natur ist gefährdet. Natur verschwindet. Der heutige Naturschutz reicht bei weitem nicht aus, diesen Trend zu stoppen.
In welche Richtung die Lösung gehen muss, ist aus dieser Problemdefinition einfach abzuleiten. Wenn viel Natur sich auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen in engem Verbund mit landwirtschaftlichen Produktionssystemen befindet, dann geht es in erster Linie darum, die Landwirtschaft (oder Teile der Landwirtschaft) so zu betreiben, dass sie noch immer Raum bietet für die von ihr abhängige Natur. Der Haupttrend der Landwirtschaft geht leider in die falsche Richtung. Durch Intensivierung und Monokulturen – Stichwort Mais – wird dieser Raum immer kleiner. Für effektiven Naturschutz ist es unumgänglich, dass größere Teile der landwirtschaftlichen Flächen wieder extensiv bewirtschaftet werden und dass auch wenigstens Teile der intensiv bewirtschafteten Flächen aus der Produktion herausgenommen und für Naturentwicklung freigegeben werden. Die Effekte der Klimaänderung verstärken dieses Argument.
Dabei sollte es um erheblich größere Teile der gesamten landwirtschaftlichen Fläche gehen als zur Zeit für den Naturschutz zur Verfügung stehen. Während der Veranstaltung am 11. November wurden unterschiedliche Strategien zwischen Segregation und Integration angesprochen und diskutiert. Nur durch Segregation – Bildung von Naturreservaten und Nationalparks – wird die Natur in der Landwirtschaft nicht zu retten sein. Ohne eine naturfreundlichere Landwirtschaft wird es nicht gehen. Fazit: ohne den Landwirt wird die Natur nicht zu retten sein. Die Umstellung auf naturfreundlichere Landwirtschaft soll für den Landwirt in erster Linie wirtschaftlich attraktiv sein. Nur sehr wenige Landwirte werden aus Liebe für die Natur auf einen Teil ihres bereits niedrigen Einkommens verzichten wollen. Die heutigen Regeln der EU-Finanzierung sind dafür nicht günstig. Dagegen kann der Landwirtschaft noch immer von den günstigen Bedingungen am Bioenergiemarkt profitieren und mit Gewinn sein Land massiv auf Maisanbau umstellen. Noch abgesehen davon, dass Maisanbau keinen überzeugenden Beitrag zur Klimapolitik leistet, ist er für den Naturschutz eine Katastrophe.
Aus dem Vortrag von Christoph Leuschner und der von Hermann Hötker moderierten Diskussion zwischen Norbert Schäffer und Martin Flade wird offensichtlich, dass man sich zwar über die Details konkreter Naturschutzstrategien streiten kann, aber dass große Einigkeit darüber besteht, dass die für einen effektiven Schutz der mit der Landwirtschaft verbundenen Natur grundsätzlich die Rahmenbedingungen fehlen. Schutz der Natur – oder etwas enger formuliert Schutz der Biodiversität – hat nicht die gleiche Priorität als Klimaschutz. Von der Biodiversitätskrise geht nicht die unmittelbare Bedrohung aus als vom Zusammenbrechen des Klimas. Die direkten wirtschaftlichen Schäden durch den Zurückgang der Natur sind – trotz Bestrebungen in diese Richtung durch TEEB usw. – nicht immer klar oder gar nicht sichtbar. Naturschutz hat keine politische Priorität, nicht in Deutschland und international auch nicht.
Auch der Schutz ästhetisch attraktiver Landschaften hat in Deutschland keine Priorität, vielleicht in Deutschland noch weniger als zum Beispiel im Vereinten Königreich. Das war das Thema des m.E. etwas komplizierten Vortrages von Werner Nohl. Der Vortrag kann verstanden werden als ein Plädoyer für die bessere Einbeziehung ästhetischer Werte in den Naturschutz. Obwohl ich grundsätzlich damit einverstanden bin, schöne Landschaften zu schützen und aus diesem Grunde die Vernichtung schöner Landschaften durch Windkraftanlagen mich absolut nicht begeistern kann, geht es bei Naturschutz und Landschaftsschutz über zwei getrennte Bereiche, die man besser getrennt halten sollte. Naturschutz ist der Schutz der Natur, d.h. der Pflanzen, Tiere, Lebensgemeinschaften, usw., die sich relativ ungestört durch menschliche Einflüsse entwickeln können. Beim Landschaftsschutz steht nicht die Natur sondern die subjektiv oder kulturell bedingte menschliche Erfahrung zentral. Natur ist nicht immer schön, und schön ist nicht immer natürlich. In der praktischen Politik kommen Naturschutz und Landschaftsschutz oft zusammen, als Teile eines Zielbündels bei Raumordnung und Landschaftsplanung. Die Argumentation von Werner Nohl führt aber zu einem unklaren Naturbegriff. Für den effektiven Naturschutz bedarf es scharfer und gut definierter Begriffe.
Der Vortrag von Tim Nebel über „Vorbilder zur Nachhaltigkeit“ kam als eine Überraschung. Das Thema – konzentriert auf die Überzeugungskraft von Bildern im Vergleich zu anderen Kommunikationsmitteln – ist sicherlich interessant, aber mir war die Bedeutung für das Thema Naturschutz nicht von vornherein klar. In einer professionell gemachten Präsentation referierte Tim Nebel über die Macht und Überzeugungskraft von Bildern. Dabei betonte er, dass Bilder etwas können, was Wörter nicht können, z.B. blitzschnell über Emotionen Inhalte und Zusammenhänge vermitteln. Wer das Produkt „Natur“ vermarkten will, sollte das verstehen. Lange und komplizierte Texte mit wissenschaftlichem Jargon verfehlen in der Regel das Ziel. Das gilt umso stärker, wenn die Botschaften negativ und normativ („mit Zeigefinger“) formuliert werden. Was man brauche ist „ecotainment“ mit Hilfe attraktiver und emotional ansprechender Bilder.
Herr Nebel fragte sich: „Was können Bilder, was Wörter nicht können?“. Seine Schlussfolgerungen hätten ein wenig anders ausgesehen, wenn er auch eine zweite Frage gestellt hätte: „Was können Wörter, was Bilder nicht können?“ Dann hätte er vielleicht die Gefahren einer rein auf (emotional ansprechenden) Bildern stützenden Definition der Wirklichkeit entdeckt. Obwohl er in seiner Präsentation klar gezeigt hat, wie man mit dem Weglassen bestimmter Bildelemente den emotionalen Wert und damit die vermittelte Botschaft manipulieren kann, hat er über die Gefahren der Bildmanipulation nicht gesprochen.

Eine auf emotionalen Bildern stützende Kommunikation des Naturschutzes könnte genau die falschen Inhalte (bis hin zu groben Unwahrheiten) vermitteln. Ein schönes Beispiel hier ist die Moorschutzkampagne von BUND mit dem Slogan „Torf Tötet“. Das Bild ist ein Frosch durchbohrt durch eine Heugabel. Mit der Kampagne wollte BUND die Torfproduktion in Deutschland verhindern. Das Bild suggeriert, dass Torf in Deutschland aus natürlichen Mooren stammt. Das ist aber längst verboten. Alle natürlichen Moore sind geschützt. Torf wird ausschließlich aus degradierten und landwirtschaftlich genutzten Torfböden produziert, die ohne Torfproduktion sowieso durch Oxydation als CO2 in die Atmosphäre verschwinden würden. Nach der Torfproduktion werden in Deutschland solche Flächen in der Regel wiedervernässt. Im Ergebnis steigt der Naturwert. Die BUND-Kampagne trägt dazu bei, dass die Torfproduktion aus Deutschland in die intakten Moorgebiete im Baltikum auswandert. Kostbare Natur geht dadurch verloren. Die wirkliche Bedrohung der Biodiversität auf den degradierten Moorböden in Deutschland ist die intensive Landwirtschaft, die durch Kuhlung die Bodenstruktur vernichtet und naturnahe Wiedervernässung nicht mehr möglich macht. Das Bild „Torf Tötet“ vermittelt Unwahrheiten und trägt mehr zur Vernichtung als zum Schutz der Moore bei.
Kommunikation auf der Basis emotional ansprechender Bilder ist potentiell gefährlich. Diese Gefahren sieht man nicht nur in der Konsumentenkommunikation, sondern werden zunehmend aktuell in der schnellen Kommunikation politischer Konzepte und Strategien. Ohne inhaltliche Basis werden sie über attraktive Bilder in die Politik transportiert. Ein gutes Beispiel ist das Konzept „circular economy“, ein Wunschbild einer abfallfreien Gesellschaft mit lückenloser Schließung aller stofflichen Kreisläufe. Dieses Konzept, das nicht nur gegen das zweite Hauptgesetz der Thermodynamik verstößt, sondern auch durch viele praktische Probleme in der Regel nicht einfach umgesetzt werden kann, wird sogar von der EU-Kommission zum Grundstein der Abfallpolitik gemacht, nicht auf der Basis einer inhaltlichen Analyse sondern auf der Basis eines attraktiven Bildes. „Circular Economy“ ist auch deshalb so attraktiv, weil – was jeder Werbespezialist weiß – Kreise immer attraktiver sind als jede andere Basisform. Endloses Wachstum ohne Begrenzungen durch „circular economy“: wer könnte dagegen sein?
Wer den Ratschlägen von Herrn Nebel folgt, kann sicherlich das „Produkt“ Natur besser vermarkten. Ob es dabei um sinnvolle Strategien, leere Phantasien oder Lügen handelt, macht keinen Unterschied. Das „toolbox“ ist gleich. „Ecotainment“ kann Spaß machen, aber dessen positiver Beitrag zu Naturschutz ist nicht garantiert.
Aus einem etwas anderen Blickwinkel fragte sich Sarah Zierul, wie man den Einfluss des Konsumenten auf Naturschutz erhöhen könnte. Die Basis ihrer Argumentation war eine Analyse des Bananenmarktes, der Bananenlieferkette und der Rolle der Konsumenten. Das Ergebnis ihrer Analyse ist nicht neu oder überraschend: nur eine ganz kleine Gruppe von Supermärkten ist in Deutschland für den Einkauf fast aller in Deutschland konsumierten Bananen verantwortlich und der Konsument könnte durch Druck auf diese Unternehmen die Nachhaltigkeit – inklusive Naturschutz – positiv beeinflussen. Zwei Faktoren aber verhindern dies: die extrem kleinen Margen im Bananengeschäft und die fehlende Motivation der Konsumenten, einen Cent mehr für Nachhaltigkeit auszugeben.
Die logische Schlussfolgerung aus Zieruls Ausführung ist einfach aber wurde von ihr nicht explizit gemacht: Nur über den Markt geht es nicht. Die Definition und Umsetzung von Naturschutzzielen kann nicht dem Markt, und sicherlich nicht dem Konsumentenmarkt, überlassen werden. Naturschutz, der Schutz eines öffentlichen Gutes, ist keine Endverantwortung der Privatwirtschaft. Die Privatwirtschaft in Kooperation mit ihren „stakeholders“ wie NGOs kann viel Beitragen, zum Beispiel durch die Entwicklung und Anwendung von Zertifizierungssystemen (Bio, Fair Trade, FSC, RSPO, etc.). Letztendich wird Naturschutz ohne staatliche Politik nie hinreichend umgesetzt werden. Naturschutz als eine „Vermarktungsaufgabe“ zu definieren, wie in der Werbeagentursprache von Herrn Nebel, kann interessante Gesichtspunkte öffnen, aber lenkt vom Hauptthema ab. Natur ist ein öffentliches Gut. Naturschutz bedarf der staatlichen Politik, einschließlich der Anwendung ordnungspolitischer und ökonomischer Instrumente. In der Schlussdiskussion wurde das von Michael Otto klar gesagt: die Politik muss dafür sorgen, das externe Kosten internalisiert werden. Dann wird sich der Markt entsprechend in die gute Richtung bewegen.
Die Politik aber ist nicht motiviert. Bei der Landwirtschaft geht es dabei in erster Linie um die europäische Agrarpolitik und vor allem um den vernünftigen Einsatz bestehender und neuer Finanzierunginstrumente im Interesse des Naturschutzes. Der Weg über die Konsumentenkommunikation ist bestenfalls ergänzend, aber sollte heute nicht das Hauptthema sein. Das Hauptthema ist die Beeinflussung europäischer Politik auf der Basis vernünftiger Naturschutzziele in Anerkennung der von Leuschner und anderen hervorgehobenen Fakten und der zur Verfügung stehenden und sich entwickelnden Erkenntnisse über die Effektivität konkreter Naturschutzstrategien in der Agrarlandschaft. Wir dürfen dabei nicht nur über attraktive Bilder kommunizieren. Die Botschaft ist nicht einfach in der Form von „ecotainment“ zu Formulieren. Wir müssen einen Weg finden, eine Botschaft zu vermitteln, die an sich wenig Spaß macht: so wie es heute geht, kann es nicht weitergehen. Wenn wir die Natur erhalten wollen, heißt das Begrenzungen an Konsumverhalten und Wachstum. Können wir eine solche Botschaft „ohne Zeigefinger“ bringen?
Reinier de Man
Leiden, 13. November 2015
reinier.de.man@rdeman.nl
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