Moorschutz vernichtet Moore

Hintergrund

Bei einer Veranstaltung letzte Woche in Hamburg (sog. Hamburger Gespräche der Michael Otto Stiftung) kam das Thema “Moorschutz” kurz zur Sprache (in der Stellungnahme des MdB Steffi Lemke, Die Grünen). Obwohl selbstverständlich Moore (in Deutschland, international) effektiv geschützt werden müssen, führt leider die von Frau Lemke vorgeschlagene Politik eher zur Vernichtung als zur Erhaltung der Moore. Teile meiner E-Mail an Frau Lemke finden Sie hier auf dieser Seite.

Schutz der degradierten Moorböden führt zu Vernichtung der wertvollen Moore

Aus meiner E-Mail

“Sie fordern die Einstellung des industriellen Torfabbaus (in Deutschland). Leider führt diese Politik kaum zum Schutz der Moore. Im Gegenteil: eine solche Politik trägt (ungewollt) zur Vernichtung sowohl intakter Moorgebiete (v.a. im Baltikum) als auch degradierter Moorböden (in Deutschland bei). Dabei ist zu beachten:

  • dass alle intakten Moorgebiete in Deutschland bereits unter Naturschutz stehen. Torfabbau ist dort kategorisch ausgeschlossen. Torfabbau findet nicht in Mooren sondern auf degradierten Moorböden statt.
  • dass die degradierten landwirtschaftlich genutzten Moorböden in Deutschland (durch Senkung des Wasserspiegels) unvermeidbar durch Oxydation als CO2 in die Luft gehen.
  • dass Torfabbau in Deutschland nur genehmigt wird wenn gute Wiedervernässung garantiert ist: nach dem Torfabbau entsteht eine Landschaft, die zwar nicht die Qualität der längst verloren gegangenen Moorgebiete besitzt, aber einen viel höheren Naturwert als die heutigen landwirtschaftlichen Flächen.
  • dass durch ein Verbot des Torfabbaus die Böden alles andere als geschützt werden. Im Gegenteil, sie fallen der intensiven Landwirtschaft zum Opfer. Torfböden werden durch „Kuhlung“ völlig vernichtet. CO2 geht verloren, so wie die gesamte Bodenstruktur. Die Option Wiedervernässung ist für die Ewigkeit verloren.
  • dass ein Verbot des Torfabbaus in Deutschland zur Abwanderung des industriellen Torfabbaus vor allem in die baltischen Staaten führt, wo, im Gegensatz zu Deutschland, für die Torfproduktion wertvolle Naturgebiete zerstört werden, ohne Garantie, dass Wiedervernässung stattfindet.

Langfristig ist die industrielle Torfproduktion nicht mehr akzeptabel. Torf soll durch alternative Substrate ersetzt werden. Kurz- bis mittelfristig gibt es aber gute Grunde, den Torfabbau auf degradierten landwirtschaftlich genutzten Moorböden, wie man die in Niedersachsen noch vorfindet, zu konzentrieren. Damit schlägt man zwei Fliegen in einer Klappe: erstens vermeidet man die unwiderrufliche Zerstörung von degradierten Moorböden in Deutschland durch die Landwirtschaft (und erhöht sogar den Naturwert); zweitens verhindert man die Zerstörung intakter Moorgebiete in Ländern wie Estland.

Es gibt zur Zeit gute Gründe für pragmatische Bündnisse zwischen Naturschutzorganisationen und der Torfindustrie. Ich hatte die Ehre, sowohl auf der internationalen Ebene als auch auf er regionalen Ebene in Niedersachsen solche Bündnisse zu moderieren. Dabei konnten die Teilnehmer mit sehr unterschiedlichen Interessen sich schnell über pragmatische Lösungen einigen.  Ich hoffe, diese Informationen sind für Sie hilfreich bei der Entwicklung effektiver Strategien, Böden und Natur zu schützen.”

Zum gleichen Thema:

Mein Kommentar zu den Hamburger Gesprächen 2015

Das Thema Moore/Torf auf meiner Website

Responsibly Produced Peat

IPS – Wise Use of Peatlands

Greifswald Moor Centrum

Der Verbraucher als Deus ex Machina

Wie wir aus Ratlosigkeit wilde Phantasien über den Weltmeister des kurzfristigen Handelns entwickeln*)

Diese Gedanken entstanden bei mir während Vorträge und Gespräche bei den sog. Hamburger Gesprächen letzte Woche.

Eine (zu) schöne Geschichte

Die folgende Argumentation hört man diese Woche wenigstens 1000 mal (wenn nicht 100.000 mal) auf deutschen und internationalen Veranstaltungen (Workshops, Kongressen, Symposien, Festreden, Fernsehprogrammen). Ich kann mir gut vorstellen, dass auch heute eine Rede ungefähr den folgenden Text enthält.

„Wir belasten unseren Planeten mit unseren Produktionsprozessen, Produkten, Abfällen und Emissionen weit über die Tragfähigkeit der Umwelt hinaus. Wir gefährden nicht nur das Klima, die Biodiversität nimmt dramatisch ab und, obwohl fast keiner das merkt, geht die Qualität der Böden so schnell runter, dass nicht nur ganze Ökosysteme bedroht sind, sondern auch die Ernährung der noch immer schnell wachsenden globalen Bevölkerung. Durch die Globalisierung der Wirtschaft hat die Bevölkerung der reichen Länder einen immer größeren globalen Fußabdruck. Die Bundesrepublik braucht die Oberfläche von fünf zusätzlichen Bundesrepubliken. Mit unserem Konsum vernichten wir die Wälder in Indonesien, die Böden und das Grundwasser in Zentralasien und verstoßen wir zusätzlich gegen elementare Menschenrechte weltweit.

Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Entwicklung erfordert, dass wir kräftig gegen die Umweltbelastung und die Menschenrechtsverletzungen in unseren globalen Zulieferketten agieren. Aber wie erreichen wir, dass keine Primärwälder für Palmöl gerodet werden, dass die Entwicklung von Sojaplantagen für das in unseren Fleischveredlungsunternehmen verwendete Viehfutter nicht zu Landraub in Südamerika beiträgt, dass die Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie von Bangladesch ein gerechtes „living wage“ und eine akzeptable Arbeitssicherheit bekommen? Ohne Druck auf die Unternehmen in der gesamten Kette – von der Primärproduktion bis hin zum Supermarkt geht es nicht.

Der Druck sollte (im Prinzip) vom Staat kommen. Der Staat – über die üblichen Instrumente des Ordnungsrechts – sollte das Spielfeld neu definieren. Unternehmen, die heute nur Geld damit verdienen, weil sie die externen Umweltkosten und sozialen Kosten nicht internalisieren in den Preisen ihrer Billigwaren, sollten die externen Kosten endlich mal in Rechnung gestellt werden. Sollten, aber in der Realität ist das wohl sehr schwierig. Motivation und Handlungsspielraum des Staates sind hier das Problem. In den problematischen Produktionsländern fehlt es dem Staat an Motivation. In korruptionsgeplagten Ländern wie Bangladesch oder Indonesien wird der Staat die sozial und ökologisch bedenklichen Praktiken nie effektiv bekämpfen, solange die korrupte Elite darin kein Eigeninteresse sieht. In den Konsumentenländern hat der Staat nur sehr wenig Spielraum. Die WTO verhindert in der Regel, dass importierende Länder die Nachhaltigkeit der importierten Waren regulieren. Es gibt zwar im Bereich der Bioenergie und der Holzimporte gewisse Ausnahmen, aber in der Regel können Deutschland, die Niederlande oder Frankreich keine ökologischen oder sozialen Anforderungen an Soja- oder Textilimporte gesetzlich festlegen, ohne unzulässige Handelsbarrieren zu verursachen.

Liebe Zuhörer, wie können wir trotzdem die Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit bewegen? Wir meinen, dass der Verbraucher (die Verbraucherin) hier eine wichtige Rolle spielen muss und auch kann! Es findet hier bereits eine erfreuliche Entwicklung statt. Es ist heutzutage undenkbar, dass Supermärkte keine kontrolliert biologisch angebauten Lebensmittel oder „fair-trade“-Waren anbieten. Der/die Verbraucher(in) verlangt von Unternehmen, dass er/sie mit gutem Gewissen einkaufen kann. Und die Unternehmen hören auf die kritischen Verbraucher(innen). Der kritische Konsument ist bereits heute ein wichtiger Faktor in der Beeinflussung von Produkten, Produktion und Lieferketten. Diese Rolle wird zunehmen, aber dafür müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: dem Konsument müssen die mit dem Produkt verbundenen ökologischen und sozialen Problemen bewusst sein und es müssen verantwortungsvolle Alternativen vorhanden sein. Wenn der Konsument versteht, dass er einen Beitrag zur Lösung gravierender ökologischer und sozialer Probleme leisten kann, ist er auch bereit dafür ein paar Cent mehr zu bezahlen. Der Schlüssel liegt also bei Schaffung von Bewusstsein und Wissen durch Erziehung und Aufklärung der Verbraucher!“

Otto Moralverbraucher

Deus ex Machina

Ein „Deus ex machina“, ursprünglich „das Auftauchen einer Gottheit mit Hilfe einer Bühnenmaschinerie“, ist „eine sprichwörtlich-dramaturgische Bezeichnung für jede durch plötzliche, unmotiviert eintretende Ereignisse, Personen oder außenstehende Mächte bewirkte Lösung eines Konflikts“. Im Drama der fehlenden Steuerung globaler Stoff- und Warenströme schwebt plötzlich der Verbraucher über der Bühne und bekommt damit fast göttliche Eigenschaften. Der Verbraucher – in seiner Göttlichkeit – löst das Unlösbare: Das Handeln ist völlig blockiert. Die Unternehmen stehen im Wettbewerb zu einander. Wer zu viel Nachhaltigkeit entwickelt, produziert zu teuer und wird vom Markt zurückgepfiffen. Der Staat im Produktionsland wird von dominanten Interessensgruppen zu Korruption und niedrigen Standards gezwungen. Der Staat im reichen Konsumentenland wird von WTO-Regeln gelähmt. Eine völlig aussichtslose Lage.

Und, siehe da, der göttliche Verbraucher entwirrt den Knoten und das Problem ist gelöst!

Phantasiekonstrukt

Der göttliche Verbraucher ist leider ein Phantasiekonstrukt und hat nur ganz wenig mit dem irdischen Verbraucher, Otto Normalverbraucher, gemeinsam. Er lässt sein Kaufverhalten kompromisslos von seinem Gewissen steuern. Es gibt selbstverständlich Käuferschichten (vor allem in den oberen Einkommensklassen), die nur Biogemüse, T-Shirts aus biologisch angebauter Baumwolle und delfinfreundlichen Thunfisch verlangen, oder sogar kategorisch auf Thunfisch verzichten. Die Mehrheit der Verbraucher wird sich auch in Zukunft bei Kaufentscheidungen nur sehr begrenzt, wenn überhaupt, durch ökologische oder soziale Überlegungen steuern lassen. Um das unvermeidliche Drama zu verhindern, wird aus Otto Normal Verbraucher Otto Moralverbraucher (siehe das Buch von Caspar Dohmen) gemacht. Den gibt es aber in der Realität nur sehr selten.

Der Konsument und der Bürger

Weltmeister des kurzfristigen Handelns

Eine nachhaltige Wirtschaft ist davon abhängig, ob wir in der Lage sind, die Priorität langfristiger Ziele wieder herzustellen und Gegengifte gegen die nachhaltigkeitsfeindliche Kurzfristigkeit zu entwickeln. Nachhaltigkeit hat nicht in erster Linie, wie oft angenommen wird, mit einem Kompromiss zwischen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen, sondern mit der langfristigen Stabilität unserer Wirtschaft zu tun. Den Konsument für die langfristige Stabilität unseres Wirtschaftssystem verantwortlich zu machen, wer könnte auf so eine lächerliche Idee kommen? Das Tier Konsument ist in erster Linie durch kurzfristige Ziele und immer wechselnde Emotionen getrieben. Nachhaltigkeit kann dabei durchaus eine Rolle spielen, aber dann in der Form von Emotionen zum Thema Nachhaltigkeit. Dabei können die Emotionen genauso schnell wechseln wie bei anderen Modeerscheinungen. Wer auf das Verhalten des emotionalen Verbrauchers vertraut, wird leider nur Zeit verlieren. Es wird zwar keinen Mangel an nachhaltigkeitsgetriebenen emotionalen Themen am Verbrauchermarkt geben, aber das Ergebnis wird mit Sicherheit nicht nachhaltig sein.

Der Bürger als treibende Kraft

Vom Einfluss der Konsumenten auf Unternehmen durch ihr Kaufverhalten darf man nur ganz bescheidene Beiträge zur Nachhaltigkeit erwarten. Viel mehr Einfluss haben die Menschen in ihrer Rolle als Bürger. Kritische NGOs haben einen viel größeren und direkteren Einfluss auf Unternehmen als die Konsumenten. Die Drohung von NGOs, Unilevers „brand“ Dove anzugreifen, hat Unilever dazu gezwungen, eine Koalition gegen die Vernichtung der südostasiatischen Regenwälder aktiv zu unterstützen. Die Kampagnen der NGO „Lekker Dier“ in den Niederlanden gegen unethische Praktiken in der Hühnerzucht (holländisch: „plofkippen“) hat dazu geführt, dass führende Supermärkte und Lebensmittelhersteller sich auf einigermaßen akzeptable Formen der Hühnerhaltung verpflichtet haben. Es sind weder die Konsumenten noch die Politik, die solche Änderungen bewirkt haben. Ein Großteil der Konsumenten wird auch in Zukunft das billigste Hühnerfleisch kaufen. NGOs wie „Lekker Dier“ können aber effektiv verhindern, dass bestimmte Qualitäten überhaupt noch angeboten werden.

Die Initiative liegt beim Bürger. Die Politik konsolidiert

Der Schlüssel für die Gestaltung nachhaltiger Lieferketten liegt weder beim Staat noch beim Konsument. Der (nationale) Staat ist zu träge und kann in der globalen Wirtschaft oft nicht adäquat handeln. Der Konsument ist Weltmeister Kurzfristigkeit. Die entscheidende Rolle liegt bei dem Bürger und seinen Organisationen: bei den gesellschaftlichen Organisationen (NGOs), die durch eine Kombination von Kritik und Kooperation die Unternehmen in die gute Richtung lenken. Das Ergebnis sind Kompromisslösungen, in denen die Interessen der unterschiedlichen „stakeholders“ repräsentiert werden. Gute Beispiele sind die „roundtables“ für Holz, Palmöl, Soja, etc. (FSC, RSPO, RRS, etc.). Sie reflektieren die heute praktisch realisierbaren Kompromisse, noch nicht die optimalen Lösungen für Nachhaltigkeit. Sie sind aber relativ schnell zustande gekommen, viel schneller als durch klassische internationale Kooperation, zum Beispiel auf der Ebene der Vereinten Nationen, realisierbar gewesen wäre. Solche „multi-stakeholder“-Initiativen haben zu breit akzeptierten Standards geführt. Diese Standards werden noch nicht weltweit effektiv umgesetzt und das kann auch nicht erwartet werden. Die Standards müssen als Angebot der Koalitionen von Bürgern und Wirtschaft an die Politik verstanden werden. Die Standards genießen hohe Akzeptanz und es ist nachgewiesen, dass sie umgesetzt werden können. Jetzt ist die Politik am Zug, sie verbindlich für alle zu machen.

Referenzen

Deus ex Machina, sieh: https://de.wikipedia.org/wiki/Deus_ex_machina

Caspar Dohmen, Otto Moralverbraucher: Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens, Orell Füssli, 2014.

Über den “plofkip” https://www.wakkerdier.nl/plofkip 

Siehe auch meine englischsprachige Publikationen, wie
Reinier de Man, Private Sector Driven Sustainability Standards, How can they Promote Sustainability in Third States?, in: Wybe Th. Douma, Steffen van der Velde (eds.), EU environmental norms and third countries: the EU as a role model?, CLEER Working Papers 2013/5.

 

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*) Warnung: dieser Blog enthält Ironie und Humor. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Freunde.